Wir brauchen den Schutz im Wandel

20. Juli 2021

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil zum Auftakt der heißen Wahlkampfphase in Jacking von Helmut Preuß

Wir brauchen den Schutz im Wandel
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (Mitte) hat bei der Veranstaltung in Jacking die heiße Phase des Wahlkampfes eröffnet. Mit dabei (v.l.): Florian Pronold, Bettina Blöhm (DGB), MdL Christian Flisek, Vera Spörl (sozialdemokratische Frauen im Unterbezirk), Bundestagskandidat Johannes Schätzl, Oberbürgermeister Jürgen Dupper, Bürgermeister Florian Gams und Bezirksrat Andreas Winterer. −Foto: Preuß

Tiefenbach. Mit einem politischen Schwergewicht startete die SPD im Unterbezirk Passau (Stadt und Landkreis) "mit Vollgas" in die heiße Phase des Bundestagswahlkampfs. Auf Einladung "seines persönlichen Freunds", MdL Christian Flisek, sprach der Bundesminister für Arbeit und Soziales, Hubertus Heil, am Sonntagabend beim Knott in Jacking. Knapp vierzig Minuten referierte er über den Arbeitsmarkt in der Pandemie, den bevorstehenden Strukturwandel und – in einem ersten Teil – über die Hochwasserkatastrophe im Westen. Keine "Haudrauf-Veranstaltung" mit hemdsärmeligen Verbalattacken auf den politischen Gegner sollte es werden, versprach Christian Flisek bei seiner Begrüßung. Das verbiete die Achtung vor den Hochwasseropfern in Rheinland-Pfalz und NRW. "Als Passauer ist einem sehr bewusst, was die Menschen dort gerade durchmachen. Aber solch hohe Opferzahlen lassen einen doch verstummen", sagte Flisek. Und der Minister hielt sich fast daran. Lediglich den Seitenhieb auf seine CDU-Direktkonkurrentin im Heimatwahlkreis Gifhorn-Peine und deren Unkenntnis des eigenen Parteiprogramms konnte er sich dann doch nicht verkneifen. Bundestagsdirektkandidat Johannes Schätzl – nach eigenen Worten die "Vor-Band" zum prominenten Gast – griff drei Punkte seiner politischen Agenda heraus: Arbeit, Digitalisierung und Umwelt. Die Wertschätzung der Arbeit bestehe zum einen im gerechten Lohn, zum zweiten in der Planungssicherheit fürs Leben, meinte Schätzl. "Und an dieser Arbeit hängt auch ein Preisschild: Darauf steht zwölf Euro", sagte er mit Blick auf den Mindestlohn und wetterte gegen "unanständige Beschäftigungsverhältnisse" wie Leiharbeit und Werksverträge mit sachgrundloser Befristung. Ärgerlich sei auch die mangelhafte Infrastruktur bei der Digitalisierung. "Kaum aktive Glasfaseranschlüss, ein Stadt-Land-Gefälle beim Breitband und immer noch schwarze Flecken beim Mobilempfang", bemängelte der 28-jährige Informatiker. Es gehe dabei um Wettbewerbsfähigkeit und die Sicherung der Arbeitsplätze. Über zwölf Milliarden Euro hätte Finanzminister Olaf Scholz zur Verfügung gestellt, kaum 15 Prozent seien abgerufen worden, sagte Schätzl. Zum dritten, beim Schutz unseres Planeten, "der nicht optional ist", müsse man alle Menschen mitnehmen. Der ÖPNV auf dem Land lasse zu wünschen übrig, öffentliche Ladestrukturen für E-Autos finde man kaum. Es gehe nicht um weniger, sondern um moderne Mobilität. "Große Hoffnungen liegen auf den Forschungen", sagte Schätzl auch unter dem Eindruck seines Besuchs im Technologiezentrum Ruhstorf am Freitag. Schnellstmöglich müsse Energie aus erneuerbaren Quellen gewonnen werden. Hubertus Heil sprach zunächst dem jungen SPD-Kandidaten im Passauer Stimmkreis Mut für die Wahl zu ("das wird zu schaffen sein") und stieg dann ins politische Bundesgeschäft ein. Zuerst verwies er auf die Kabinettssitzung zur Hochwassersituation: "Wir werden am Mittwoch 300 Millionen Soforthilfe beschließen, die noch im Juli unbürokratisch ausbezahlt werden", sagte er. Der Minister referierte dann zum Arbeitsmarkt in der Pandemie, sang das Hohelied auf die Kurzarbeit, "weil dadurch hunderttausende Arbeitsplätze gerettet worden sind". Im angelsächsischen Raum sei "Kurzarbeit" bereits zu einem Lehnwort avanciert. Allerdings sei sie auch sehr, sehr teuer. "Die 26 Milliarden Rücklagen bei der Arbeitsagentur sind jetzt weg", sagte Heil. Sorgen bereite ihm primär der Ausbildungsmarkt. Wer den Jüngeren jetzt keine Chance gebe, ebne den Weg in Hartz-IV-Karrieren und in den Fachkräftemangel, meinte er und appellierte: "Bildet Bündnisse für die Ausbildung." Heil bekräftigte die Bedeutung des Arbeitsschutzes in der Pandemie ("auch die Arbeitsstelle muss ein Beitrag sein zur Teststrategie") und brandmarkte die Defizite in der Fleischindustrie, den massiven Lobbyismus dort, die geringen Standards bei den Unterkünften und das allzu weitmaschige Netz bei den "Arbeitsschutzkontrollbehörden", die kaputtgespart worden seien. Er forderte eine angemessene Bezahlung für die, die in der Krise den Laden am Laufen gehalten hätten, die Pflegekräfte und Lagerarbeiter. "Staatliche Leistungen aus der Pflegeversicherung sollen nur noch an die fließen, die nach Tarif bezahlen", forderte er. Last not least verwies der Minister auf die Handschrift der SPD in der Koalition ("nächste Woche verschicken wir die ersten Bescheide für die Grundrente bei rund 1,3 Millionen Menschen") und den anstehenden Strukturwandel in der Arbeitswelt, der eher einem abrupten Strukturbruch gleiche. Bei Handel, Banken und Versicherungen werde künftig wohl mancher qualifizierte Arbeitsplatz von künstlicher Intelligenz ersetzt, in der Autoindustrie werde es beim Umstieg auf den Elektromotor zu Tätigkeitsänderungen kommen, prognostizierte er. "Deshalb brauchen wir den Schutz im Wandel", forderte Hubertus Heil. Und der sei von Staat und Wirtschaft gleichermaßen zu leisten. "Den CO2-Preis müssen sich Mieter und Vermieter teilen", nannte er ein konkretes Beispiel, bei dem CDU und CSU allerdings nicht mitgemacht hätten. Auch müsse sich die Bundesanstalt weiterentwickeln zur "Anstalt für Arbeit und Qualifizierung". Es gelte, den Menschen die Angst vor dem Morgen zu nehmen. Und dafür brauche man den Sozialstaat. "Den Sozialstaat gegen den wirtschaftlichen Fortschritt auszuspielen, das kann sich nur eine Knalltüte einfallen lassen", wetterte der Minister.

Quelle PNP Helmut Preuß

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